Mallorca 312
Es begab sich vor ziemlich genau einem Jahr, dass mein Arbeits- und Vereinskollege Holger und ich auf Mallorca in unserem mittlerweile traditionellen Frühjahrs-Trainingslager weilten. Gewohnt unsere Kilometer abspulend stellten wir eines Tages fest, dass unweit unseres Hotels in Playa de Muro ein größerer Auflauf (noch mehr als sonst) an Radfahrern herum stand, Absperrgitter aufgebaut wurden und eine kleine Zeltstadt Namhafter Fahrrad- und Zubehör Hersteller diverse Sachen zum kaufen und ausprobieren anbot. Als wir uns das Ganze unbedarft von der Nähe aus anschauten erfuhren wir, dass hier in ein paar Tagen ein Rennen stattfinden würde: das Mallorca 312 (http://www.mallorca312.com). Kurze Überlegungen sich spontan nach einer freien Startnummer zu erkundigen wurden dann doch begraben und da es am nächsten Morgen regnete tat uns die Entscheidung im nachhinein auch nicht allzu leid.
Aber jetzt, da ich von dem Rennen wusste ließ es mich nicht mehr los. Die Aussicht darauf die wunderschöne MA-10 durch die Serra de Tramuntana (Gebirge im Nordwesten) ohne die sonst lästigen Mietwagen-Bruchpiloten und ohne Gegenverkehr fahren zu können ist alleine schon Argument genug. Außerdem reizte mich die ordentliche Herausforderung 312 km + ~4500 Höhenmeter. Und falls die Beine nicht mitspielen sollten kann man immer noch den “easy way out” nehmen und stattdessen nur 225 km fahren (es werden 3 unterschiedliche Strecken angeboten und die 312er ist bis auf die letzten ~80 km mit der 225er identisch).
Also angemeldet, Hotel + Flug gebucht und mit dem Training angefangen.
Da wir die Woche vor dem Rennen schon auf der Insel waren (Holger war wieder mit dabei, konnte aber nicht davon überzeugt werden sich für das Rennen anzumelden) hatte ich Zeit mir in mehreren Touren einen Großteil der Strecke schon einmal anzuschauen. Die vor dem Urlaub sehr optimistische Wettervorhersage (nur Sonne und ~20°C) stellte sich zwar als falsch heraus, aber nach einem verregneten Ruhetag sah es für den Tag des Events doch gar nicht so schlecht aus.
Aufgrund der Tatsache, dass es meine erste Teilnahme war und ich wohl Pech bei der Auslosung hatte “durfte” ich aus der letzten Startbox starten. Dort fand ich mich am Tag des Rennens um ca. 6:30 Uhr im Dunkeln ein und gesellte mich zu den schon bei ca. 5°C Wartenden. Frierend hofften wir alle auf eine bald aufgehende Sonne und den Start des Rennens. 7 Uhr (der offizielle Start des Rennens) verstrich ohne dass etwas passierte, immerhin wurde es aber langsam hell. Die Startbox war so weit vom Start- / Zielbereich entfernt dass die Lautsprecheransagen nur ein unverständliches Gebrummel in der Ferne waren und so blieb uns nichts weiter übrig als zu warten. Nach einer guten Viertelstunde kam langsam Bewegung in die vorderen Boxen und knapp 20 Minuten nach 7 Uhr konnte auch ich über die Startlinie rollen. Es dauerte halt eine ganze Weile bis sich die mehr als 2500 Radfahrer vor mir auf den Weg gemacht hatten.
Eigentlich waren die ersten 26 km des Rennens neutralisiert, aber da ich durch den späten Start weit hinter den Führenden lag war davon nichts zu spüren. Ich hängte mich an ein paar Briten und ließ mich von ihnen durch Alcudia und an der Küste entlang Richtung Pollenca ziehen. Die endlich aufgegangene Sonne und die Bewegung wärmte die kalten Beine langsam auf.
In Pollenca beginnt die “legendäre” Ma-10 die die Anfahrt zum ersten Anstieg des Tages einläutete. Praktischerweise wurde sie kürzlich frisch geteert und so machte die ehemals eher etwas rauhe Strecke noch mehr Spaß. Der Anstieg führt durch eine sehr schöne Karstlandschaft zum Coll de Femenia und ich machte mich daran mir einen Weg durch die anderen Teilnehmer zu bahnen. Primäres Ziel war es erst einmal bis zur Abfahrt vom Coll de Puig Major möglichst viele von ihnen zu überholen damit dort die Bahn frei ist. Obwohl ich dies während dem Anstieg und dem weiteren Weg am Kloster Lluc vorbei fleißig machte wollte der Strom der Fahrradfahrer nicht abreissen.
Den ersten Verpflegungspunkt nach ca. 50 km am Stausee Gorg Blau ignorierend erreichte ich kurze Zeit später den Tunnel am Puig Major der die Abfahrt ankündigte. Mein Plan war gut aufgegangen und ich musste nur eine handvoll Hindernisse überholen und konnte so die Abfahrt über besten Asphalt und ohne die Gefahr von Gegenverkehr in vollen Zügen genießen.
Ab Soller ging es dann wieder aufwärts an der malerischen Steilküste entlang und durch den schönen Ort Deia hindurch. Beim nächsten Versorgungspunkt am Coll d’en Claret, nach bisher ~100 km, füllte ich meine Flaschen wieder auf und stopfte mir eine handvoll Energy-Gels in die Trikottasche. Nach ruppiger Abfahrt ging es dann im steten auf und ab weiter entlang der Küste. Auch wenn die Idee eigentlich gewesen war möglichst viel bei anderen im Windschatten zu fahren endete ich meistens vorne, dies sollte sich im weiteren Verlauf dann (leider) als Motto des Tages herausstellen. Über einen schönen Anstieg ging es dann zum letzten Pass auf der Ma-10 dem Coll de sa Gramola.
Mit der folgende Abfahrt nach Andratx war der westlichste Punkt der Runde erreicht und es ging wieder zurück nach Osten. Nach kurzem Anstieg kam die dritte Futterstation in Es Capdella die ich links liegen ließ. Stattdessen machte ich mich an die Erklimmung der letzten zwei Buckel bevor die Strecke in das flachere Inselinnere ging. Dabei hatte ich nach ~150 km das erste mal das Gefühl, dass der stete Strom an Radfahrern, bei denen ich mich beim Überholen wunderte warum diese trotz ihrer Schleichfahrt immer noch vor mir waren, langsam abebbte.
Nach Esporles hatte ich das erste und einzige Mal das Glück in einer 5er Gruppe zu sein die tatsächlich zusammengearbeitet hat. Ein Spanier fragte per Handzeichen nach ob wir kreiseln möchten und da alle einverstanden waren legten wir einige km per Belgischen Kreisel zurück. Leider wurde dieser durch Abbiegen auf eine schmalere Straße wieder aufgelöst. Ab dann war Einerreihe angesagt und obwohl unsere Gruppe auf 15-20 Fahrer anwuchs waren eigentlich immer die gleichen 2-3 Fahrer (inklusive mir) vorne. Immer wenn ich die Führungsarbeit abgegeben habe und mich zurückfallen lassen wollte, wollte komischerweise keiner an mir vorbeifahren und so endete ich dann meist als zweiter in der Reihe und war wieder als nächster dran. Natürlich hätte das nicht sein müssen aber ich fühlte mich gut und vorne fahren hat auch seine Vorteile.
Ungefähr bei Kilometer 190 in Lloseta war dann wieder ein kurzer Auftank-Stop fällig. Frisch gestärkt ging es weiter und kurz vor Sa Pobla hatte ich es zur Abwechslung mal geschafft mich in “sicherer Entfernung” von der Führungsarbeit im hinteren Teil der Gruppe zu platzieren. Mich darauf freuend endlich auch mal gemütlich im Windschatten rollen zu können fuhren wir auf die Abzweigung zu bei der die 225 km Fahrer Richtung Ziel abbiegen. Leider tat das dann auch nahezu die komplette Gruppe und ich war wieder im Wind mit nur noch zwei Mitstreitern. Im weiteren Verlauf ging es über eher kleinere Straßen durch die Felder im Osten der Insel. Meine Gruppe fluktuierte etwas, mal wurden andere Fahrer überholt und eingesammelt, mal wurden welche an kurzen aber teils knackigen Zwischenanstiegen wieder abgehängt. Das Ganze spielte sich aber hinter mir ab da ich wie gewohnt mit zwei, drei anderen Fahrern vorne fuhr.
Da ich vom letzten Flaschenauffüllen nach ~240 km noch genug für die letzten ~30 km über hatte hielt ich auch beim letzten Versorgungspunkt in Arta nicht an. Mittlerweile teilte ich mir die Führungsarbeit mit nur noch einem holländischem Mitfahrer, der Rest der gut 20 Fahrer umfassenden Gruppe verweigerte sich konsequent jeglicher Arbeit. Eine ziemlich erbärmliche Vorstellung. Eigentlich ging ich davon aus, dass die faule Bande am Ende gut erholt an mir vorbei sprinten würde, aber als kleine Genugtuung entschied ich den Schluss-Spurt für mich und überquerte als 53. die Ziellinie. Bei 1699 Fahrern auf der 312 km Distanz und dem späten Start gar nicht mal so schlecht . Meine tatsächliche Zeit Startlinie -> Ziellinie “Michmädchen-mäßig” in die Rangliste einsortiert hätte immerhin für den 35. Platz gereicht. Mit besser zusammenarbeitenden Gruppen wär vermutlich noch mehr drin gewesen, aber es war auch so ein riesen Spaß.
Nicolai Schroer
Vielen Dank an Nicolai für diesen schönen Bericht und herzlichen Glückwunsch für das tolle Ergebnis!