UCI 2022 Gravel World Championships

Ein Bericht von Nicolai Schroer

In letzter Zeit haben Gravelräder (Im Prinzip Rennräder mit „geländetauglicher“ Bereifung) immer mehr an Beliebtheit gewonnen. Meiner Meinung nach zu Recht, denn mit diesen Rädern kann man fast so schnell wie mit einem normalen Rennrad fahren, aber man ist dabei nicht an asphaltierte Wege und Straßen gebunden. Dies eröffnet nahezu unbegrenzte Möglichkeiten und das Beste dabei ist, dass man meist durch die Natur fährt, ohne dabei vom motorisierten Verkehr belästigt zu werden (oder diesen belästigt 😉). Man lernt die Umgebung neu kennen, z.B. ist der kleine Wirtschaftsweg durch die Weinberge, den man vorher nie gefahren ist, weil der Asphalt nach einigen Metern aufhört und in einen Schotterweg übergeht plötzlich eine Option. Gerade im Kraichgau gibt es eine Unmenge von solchen kleinen Wegen die sich lohnen entdeckt zu werden.

Entdeckt wurde dieser Trend auch vom Welt-Radsport Verband (UCI) welcher seit diesem Jahr analog zur Granfondo World Series (http://www.ucigranfondoworldseries.com)  auch eine Variante für Gravel im Progamm hat, die Gravel World Series (https://ucigravelworldseries.com). Bei elf um den Erdball verteilten Rennen hatte man die Möglichkeit sich für das abschließende Event, die Weltmeisterschaft, zu qualifizieren. Jeweils die ersten 25% einer Altersklasse erhalten bei diesen Qualifizierungsrennen eine UCI Medaille und das Recht sich für die WM anmelden zu können. 

Und so kam es, dass ich mich beim Houffa Gravel in Belgien wider Erwarten für die WM qualifiziert habe. Dies lag nicht unbedingt (nur) an meiner körperlichen Fitness, sondern auch daran, dass ich und mein Rad unbeschadet durch dieses Rennen gekommen sind. Denn leider scheinen sehr viele Gravelrennen von Mountainbikern geplant zu werden, anders lässt sich sonst die Streckenführung oft nicht erklären. Man kommt zwar Abfahrten die wie ausgetrocknete Gebirgsbäche anmuten irgendwie runter, aber Spaß macht das auf einem Gravelrad nicht. Die an diesen Stellen am Rand stehenden Fahrer, die versuchten ihre Defekte zu reparieren zeigten auch deutlich, dass die Räder für so etwas eigentlich nicht gedacht sind. So haben es bei dem Rennen in Belgien mehr als ein Viertel der Starter nicht ins Ziel geschafft.

Eigentlich war ich nicht hochmotiviert solch eine Tortur bald zu wiederholen. Die Beschreibung der WM-Strecke in der Region Venetien in Italien hörte sich aber deutlich besser an. Bei der ersten Austragung dieser Veranstaltung kurz hinter Mathieu van der Poel und Peter Sagan zu starten war dann doch eine lockende Vorstellung. Das für einen Start benötigte Outfit in Nationalfarben habe ich zum Glück auch noch von der Gandfondo WM 2018, dieses so kurzfristig zu besorgen hätte eng werden können (und wäre auch ein zusätzlicher Kostenfaktor). Also schnell Lizenz über den Verein gelöst und im Eilverfahren zuschicken lassen.

Am Rennwochenende konnte man in der malerischen Altstadt des Zielortes Cittadella die Startunterlagen abholen. Nach etwas dämlicher Prozedur, die Lizenz wurde kontrolliert und der Name in einer Papierliste abgehakt, „Beweisfotos“ vom Trikot in Nationalfarben wurden gecheckt und dann die Lizenz mit einem Post-It versehen, welches dann von der nächsten Person einen halben Meter weiter wieder abgenommen wurde, erhielt man den Starterbeutel. Nummern ohne Namen, aber immerhin eine Trinkflasche im WM-Design. Für 100€ Startgebühr bisher nur vom gammeligen „Müllsack“ unterboten, den es beim2018er Marmotte Granfondo Alpes gab und natürlich der gähnenden Leere bei der Granfondo WM in Varese. Aber man kommt ja auch nicht deswegen 😉. In den beeindruckenden Stadtmauern von Cittadella tummelte sich eine bunte Mischung von Radfahrern aus verschiedensten Ländern die, wie ich auch, die letzten paar km der Strecke Probe gefahren sind und ansonsten das gute Wetter in den Straßencafés genossen haben. 

Der Start selbst war dann am Sonntag im etwa 40km entfernten Vincenza auf dem Campo Marzio. Da hier nur der Start stattfand hatte es der Veranstalter wohl nicht für nötig befunden die sonst üblichen mobilen Toiletten aufzustellen, oder sie waren zu gut versteckt. Den Start der Profis habe ich dann leider nur aus meiner Startbox verfolgt, bevor es dann 15 Minuten später auch für mich losging. So wie ich es gar nicht mag, führte die Strecke sofort über eine ~12% Schotterrampe, welche mir gleich die Grenzen meiner momentanen Fitness aufgezeigt hat. Beides kam aber nicht unerwartet 😉 und so hatte ich auf der folgenden engen Abfahrt genug Platz. Mein Primärziel war es Sturz- und Pannenfrei ins Ziel zu kommen und so wollte ich mich eh nicht im Pulk durch die Serpentinen stressen. Nachteil war aber natürlich, dass ich im Anschluss in einer Gurkengruppe war, bei der außer mir niemand die Führungsarbeit übernehmen wollte. Nach ungefähr 30km fuhren wir dann auf einen Australier auf, der eine Panne gehabt hatte. Dieser beteiligte sich dann bei der Arbeit, was seltsamerweise dazu führte, dass die Dauerlutscher reißen ließen. Zu zweit machten wir uns also an die verbliebenden knapp 140 km. Es lief also genau so wie ich es eigentlich vermeiden wollte, aber irgendwie ende ich doch immer wieder vorne (nur nicht im Ergebnis 😉).

Bei den offiziellen Verpflegungspunkten, die sich mit den reinen Team-Versorgungspunkten abgewechselt haben, wurden mal mehr mal weniger aufgedrehte Wasserflaschen angereicht, oder auch mal gar nichts. Etwas zu Essen brauchte ich zum Glück nicht (ich hatte genug dabei) da ich mich nicht daran erinnern kann etwas gesehen zu haben. In Belgien war dies deutlich besser und auch nötiger da mir (und vielen anderen) dort auf einer verwurzelten Buckelpiste eine meiner Flaschen aus dem Halter gehüpft ist. Apropos Verpflegung, normalerweise gibt es im Zielbereich zumindest etwas zu trinken und meist auch noch einen kleinen Snack für die die sich mit letzter Kraft ins Ziel schleppen, hier Fehlanzeige.

Die Zielgerade durch die Altstadt von Cittadella musste von den Profis dreimal und von den jüngeren Altersklassen zweimal durchfahren werden da zwei bzw. eine extra Runde auf dem Programm stand. Unverständlicherweise war weder vernünftig abgesperrt noch gab es eine Durchfahrt als ich dort für meine Extrarunde durchwollte. Die „Rennstrecke“ war mit schon ins Ziel gekommenen Radfahrern und Zuschauern blockiert, durch die ich mich hindurch kämpfen durfte. Wohl Pech gehabt, wenn man zu langsam ist…

Am Ende war ich dann mit etwas mehr als einer halben Stunde Rückstand der 28. von 39 Startern in meiner Altersklasse, wobei nur 30 davon ins Ziel gekommen sind. Da es meine längste Radfahrt dieses Jahr war, sowohl bzgl. Strecke als auch Zeit, und es mit der Gruppensituation nicht einfach war, bin ich aber nicht unzufrieden mit dem Ergebnis. Wie vermutlich nicht verborgen geblieben ist war ich aber von der Organisation nicht wirklich überzeugt.