Von Heidelberg an die Ostsee

Im Vergleich mit Streckenlängen von Veranstaltungen wie z.B. Paris-Brest-Paris mutet der von mir zurückgelegte Weg mit knapp 860 km eher wie eine Cappucinoausfahrt an. Auch war mein Zeitlimit für die Strecke vergleichsweise großzügig bemessen und letztlich fuhr ich allein und somit außer Konkurrenz.

Das selbst gesteckte Zeitlimit und dem folgend die Etappenplanung erfolgte unter der Restriktion, dass ich in Jugendherbergen übernachte und  am Samstag, den 27.07.2019, um 17:00 Uhr im Restaurant „Lütt Hus“ in Heiligenhafen ankommen sollte. Meine Frau und meine beiden Töchter hatten für diesen Termin dort einen Tisch bestellt, um so unseren Familienurlaub an der Ostsee kulinarisch einzuleiten. Auch hier kommt man ohne Vergleich nicht aus: Meine Familie stieg am Samstag in der Früh in Heidelberg in den Zug, um dann pünktlich um 17:00 am vereinbarten Treffpunkt zu sein. Ich war letztlich auch pünktlich, nur eben etwas länger unterwegs.

Meine Tour begann am Dienstag, den 23.07.2019, gegen 7:00 Uhr in Heidelberg und führte über 5  Etappen an die Ostsee.

Die Fahrt begann am ersten Tag mit einer Strecke von 175 km und 1825 hm zunächst nach Eberbach und über den Odenwald. Ab Wertheim dann recht hügelig bis zum Etappenziel nach Schweinfurt. Die Jugendherberge liegt sehr zentral und direkt am Main, in den sogar Gäste und Einheimische zur Abkühlung schwimmen gehen. Trotz der Hitze habe ich darauf verzichtet und mir stattdessen ein kühles Bier in der unverhofft schönen Innenstadt gegönnt.

Am Folgetag stand mit 125 km und 1535 hm die kürzeste Etappe auf dem Plan. So ging es zunächst eher wellig durch die Bayerische Rhön, bevor mich die Route über den Thüringer Wald zum Etappenziel nach Schwarzburg führte. Einem zum Ende des 19. und vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr beliebten Urlaubsort des erholungssuchenden aufstrebenden Bürgertums aus den Städten, um sich im Schwarzatal bei ein bisschen Sommerfrische abzukühlen. Dazu gehörte auch der aus Heidelberg stammende erste Reichspräsident Friedrich Ebert, der dort im Urlaub die Weimarer Verfassung unterzeichnete. Später in der DDR war das Schwarzatal als Urlaubsdomizil wieder sehr beliebt. Aktuell bevorzugt der Tourismus eher andere Regionen. Trotzdem sehr schön dort. Nach meiner Ankunft in der Jugendherberge konnte auch ich mit meinen glühenden Füßen durch die schattige und kühle Schwarza waten. Fürs Freibad war meine Ankunft etwas zu spät.

Da ich am nächsten Tag recht früh aufbrechen wollte, hat mir die freundliche Leiterin der Jugendherberg mein Frühstück eine Stunde vor der eigentlichen Frühstückszeit zubereitet. Sehr nett und in der Nachbetrachtung auch wertvoll, da ich während des Tages einiges an Zeit verlieren sollte. Die 181 km lange Etappe führte mich nicht ganz freiwillig über insgesamt 2385 hm zunächst Richtung Erfurt und dann über den Kyffhäuser und den Harz nach Thale im Bodetal. Am verflixten dritten Tag bemerkte ich kurz vor Erfurt ein Problem am linken Klickpedal. Nicht wirklich tragisch aber in Anbetracht der noch vor mir liegenden Strecke war ich doch etwas besorgt. Wenige km vor Erfurt traf ich zufällig auf einen ansässigen Rennradkollegen, von dem ich eine Wegbeschreibung zum Radladen seines Vertrauens in Erfurt erhielt. Habe dann leider zunächst nur ein E-Bike-Geschäft gefunden, die mir technisch nicht helfen konnten. Freundlich und sehr hilfsbereit haben sie aber in dem bereits erwähnten Radladen des Vertrauens angerufen und sich nach dortigem Sachverstand erkundigt. Erhielt dann nochmals eine Wegbeschreibung und alles wurde zunächst gut. Am dritten Tag durfte das natürlich nicht so bleiben. Und so verabschiedete sich der Akku meines für eine solche Tour unterdimensionierten Navis diesmal bereits im Anstieg zum Kyffhäuser. Ich konnte mich nur noch auf die Wegbeschreibung, welche ich ergänzend auf das Oberrohr meines Rades fixiert hatte, verlassen. Denn im Harz hatte dann auch mein Smartphone kein Netz – zumindest nicht da, wo ich es gebraucht hätte. So fuhr ich im Harz in der Abfahrt an einem für mich suboptimalen Wegweiser nach links und nicht nach rechts. Der sich daraus ergebende Umweg betrug zwar nur circa 10 km aber inklusive erneutem Anstieg eben auch rund 600 Höhenmeter. Und auf die hätte ich am Ende des Tages gerne verzichtet. Letztlich konnte ich in der Jugendherberge Thale noch duschen und mein Bett beziehen. Das Essen beschränkte sich dann aber auf Salzstangen, Erdnüsse und wie schon am Abend zuvor ein kühles Bier in netter Runde mit anderen Reisenden.

Die wesentlichen Höhenmeter waren nun aber geschafft und es ging nun über 196 km und 920 hm Richtung Elbtalauen – genauer durchs Wendland nach Hitzacker. Auch im Wendland verabschiedete sich mein Navi vorzeitig. Etwas nervig, da mir die Ausschilderung in der ganzen Gegend recht dürftig vorkam. Konnte mich aber gut durchfragen, da ich erkennbar kein unerwünschter radioaktiv strahlender Castortransporter sondern nur ein durchgeschwitzter Radler war. Zuvor wurde es östlich von Wolfsburg auf der B 244 in unserem Autoland recht ungemütlich. Nur in dieser Gegend wurde ich im 10 Minutentakt von eng überholenden Autofahrern angehupt und als Volltrottel beschimpft. Und das nur, weil ich die Bundesstraße einem schmalen und holprigem gemeinsamen Rad-und Fußweg entlang der anderen Fahrtrichtung vorzog. Aufgeben ist zwar eine ungeliebte Option, dennoch bin ich zum Erhalt meiner physischen und auch seelischen Gesundheit wegen dann doch auf den eher unzumutbaren Radweg gewechselt.   

Am letzten Tag wurde es auf 188 km Richtung Ostholstein immer flacher. Mein kleines Garmin zeigte zeitweise sogar negative Höhenmeter – oder heißt das positive Tiefenmeter – an. Ab Oldenburg in Holstein waren es dann noch 15 km bis Heiligenhafen. Auf diesem letzten Teilstück kam es mir so vor, als kann man die Ostsee schon riechen bevor man sie sieht. Zudem habe ich zu spüren bekommen, was eine ordentliche Windkante ist. Aber auf den letzten Kilometern ist einem alles egal und man freut sich schlicht aufs Ankommen und Wiedersehen.

Peter Strenger